- Internationales Handelsmangement
- von Professor Dr. Bernhard Swoboda und Professor Dr. Thomas FoschtI. Grundlagen und AntriebskräfteInternationaler Handel existiert in der Wirtschaftspraxis seit vielen Jahrhunderten, etwa in Form von Exportaktivitäten. Auch finden sich frühzeitig direktinvestive Engagements in Form von Repräsentanzen. Man denke etwa an die Aktivitäten der „Trading Houses“, z.B. der englischen Handelskompanien, die ein weltweites Netz von Handelsverbindungen unterhielten. Diese als funktionaler Handel – d.h. als wirtschaftliche Tätigkeit der Beschaffung und des Absatzes von Gütern i.d.R. ohne wesentliche Be- und Verarbeitung – und als Außen- bzw. Großhandel zu bezeichnenden Wurzeln finden in jüngerer Zeit ihre Fortsetzung im institutionellen Handel, d.h. bei Handelsunternehmen, die sich in ihrer Tätigkeit ausschließlich/überwiegend dem Handel im funktionellen Sinn widmen.Aus einer institutionellen Sicht besteht v.a. beim Groß- und Außenhandel eine beachtliche Differenz zwischen der praktischen Relevanz und der Forschung zur Internationalität. Auch die Internationalisierung der Einzelhandelsunternehmen wurde erst in jüngerer Zeit thematisiert. Indessen realisieren Unternehmen wie Carrefour oder Metro rund 50 Prozent ihrer Umsätze im Ausland, bearbeiten rund 30 Länder und erweitern die beschaffungsseitig traditionell starken Aktivitäten massiv auch in Richtung absatzseitiger Aktivitäten. Sie verfolgen zunehmend Globalisierungs- oder Regionalisierungsstrategien als Ausdruck einer Cross-Border-Wertschöpfung, d.h. einer europa- oder weltweit dislozierten Konfiguration und Koordination der Wertschöpfungsaktivitäten unter Einbeziehung vielfältiger Transaktionsformen.Antriebskräfte der Entwicklung sind politisch-rechtliche Liberalisierungs- und Deregulierungsschritte, die die grenzüberschreitenden Aktivitäten erleichtern und für Unternehmen des Handels oft die Pforten zu internationalen, wie zu mittel-/osteuropäischen oder asiatischen Märkten öffnen. Positiv wirken Entwicklungen in der IT-Technologie sowie Tendenzen der Verhaltenskonvergenz der (privaten, gewerblichen) Nachfrager/Lieferanten. Neben dieser Outside-in-Perspektive bildet nicht zuletzt das strategische „Wollen“ der Unternehmen eine Determinante (Inside-out). Gefördert wird sie durch Wachstumsgrenzen in vielen Handelsbranchen (so in Deutschland), wo ein Verdrängungswettbewerb besteht und eher langsame, intensive Aktivitäten erfordernde Wachstumsschritte möglich sind. Insofern verwundert es nicht, dass als die wichtigsten Motive für die Internationalisierung von Handelsunternehmen die Wachstumschancen in neuen Märkten und die Marktsättigung im Heimatmarkt genannt werden. Zugleich – und auch das kann als Eigenart des deutschen Handels gesehen werden – sind die Handelsspannen in vielen Auslandsmärkten höher als jene im Heimatmarkt.II. Entscheidungsfelder des Internationalen HandelsmanagementsDie zentralen Entscheidungsfelder können in den beiden Kernprozessen des Handels, dem Supply-Chain-Prozess (wozu v.a. die Beschaffung und Logistik zählen), dem Marktbearbeitungsprozess (wozu v.a. das Marketing zählt) sowie in der (länderübergreifenden) Führung des internationalen Wertschöpfungssystems (Organisation, Controlling, Informations-, Human Resource Management und Informationsmanagement) gebündelt werden. Die Konfiguration, Koordination und Wahl der Transaktionsform zur Gestaltung der Kernprozesse charakterisiert das internationale Handelsmanagement.1. Supply-Chain-ProzessTrotz aller Branchenunterschiede – so beschafft z.B. der Textilhandel traditionell global und der Lebensmittelhandel oft regional – ist eine zunehmende Internationalität der Aktivitäten festzustellen. Die Dynamik betrifft ein zunehmend zu beobachtendes Global Sourcing. Es findet ein Wandel vom im Handel traditionell bedeutenden Einkauf in Richtung einer (absatzmarkt-)getriebenen, strategisch ausgerichteten Beschaffung statt. Dabei stehen nicht nur Kostenaspekte im Vordergrund, sondern auch die Liefersicherheit und -flexibilität, weshalb etwa im Textilbereich verstärkt im geografisch nahen Osteuropa und nicht in günstigeren, aber unflexibleren asiatischen Märkten beschafft wird.Die strategische Herausforderung resultiert im Handel auch aus der zunehmenden Differenzierung der Beschaffungssituationen. Während bei einzelnen Artikeln/Sortimenten eine aktive Bearbeitung der Beschaffungsmärkte notwendig ist, wird v.a. in den Markenartikelbereichen eine zunehmend kooperative Beschaffung umgesetzt. Die Wahl der Transaktionsformen umfasst also erstens vertikale Partnerschaften mit Lieferanten und Logistikunternehmen, so im Markenartikelbereich und zunehmend auf einer europäischen oder globalen Ebene. Horizontal haben Verbundgruppen des Handels in Zentraleuropa eine traditionelle Bedeutung. Zu entsprechenden Kooperationen – zu denken ist hier an Unternehmen wie Edeka, Garant, Red Zac – treten zunehmend Einkaufskooperationen international agierender Handelsunternehmen. Sie sollen Größennachteile in der Beschaffung auch im internationalen Bereich und auch bei kleineren Unternehmen relativieren. Zugleich werden neue Plattformen wie elektronische Business-to-Business-Marktplätze genutzt.Bezüglich der Koordination bestehen beachtliche Herausforderungen, denn in den jeweiligen Beschaffungssituationen bestehen unterschiedliche Koordinationserfordernisse. Zudem wachsen auch die Anforderungen an die Qualifikationen der Einkäufer, die nicht nur wie in der Vergangenheit disponieren und verhandeln, sondern heute umfassende Marktkenntnisse besitzen und zugleich als Prozessspezialisten auftreten müssen. Darüber hinaus erfolgt in den größten Unternehmen der Welt eine zunehmende (beschaffungs-)marktnahe Bündelung der Beschaffungsaktivitäten über alle Betriebs- und Vertriebstypen der Unternehmen sowie über die Ländermärkte hinweg.2. MarktbearbeitungsprozessWie angedeutet, resultiert die gegenwärtige Internationalität v.a. aus der Dynamik der zunehmend international konfigurierten Absatzmarktaktivitäten. Relevant sind hierbei die Interdependenzen zwischen der zunehmenden Anzahl der bearbeiteten Ländermärkte, den genutzten Transaktionsformen sowie den veränderten Koordinationsanforderungen.Zu den strategischen Entscheidungen des Internationalen Marketing zählen die Auswahl relevanter Märkte (Marktwahl), die Form des Markteintritts sowie die Art der Marktbearbeitung, die in einem interdependenten Verhältnis zueinander stehen. So hängt die Form des Markteintritts eng mit der Art der Marktbearbeitung zusammen. Bei Akquisitionen oder Joint Ventures ist es schwieriger, Programm- und Prozessstandardisierungen durchzuführen, da hier erst Potenzialharmonisierungen stattfinden (müssen), die einige Zeit in Anspruch nehmen. Franchising und Niederlassungen bieten dagegen höhere Standardisierungspotenziale. Standardisierte Marktbearbeitungsstrategien setzen das Vorhandensein bzw. die Akzeptanz bei einer ökonomisch ausreichenden kritischen Masse von Abnehmern voraus und begrenzen dadurch den Kreis der für einen Markteintritt in Frage kommenden Ländermärkte. Diese – oftmals als globale Marketingstrategie bezeichnete – Form der Marktbearbeitung steht eine multinationale Strategie gegenüber, die sich durch eine länderspezifische bzw. regionale Differenzierung der Leistungsprogramme (z.B. Vertriebstypen, Sortimente), der operativen Marketinginstrumente (z.B. Preis, Werbung) und der Marketingprozesse auszeichnet. Eine Zwischenstellung nehmen globale Konzepte mit nationaler/regionaler Anpassung ein.Heute ist eine zunehmende Harmonisierung der Qualitätsstandards sowie der Kundenbeziehungsprozessen, die zentral entwickelt und dann disloziert werden, festzustellen. Nicht zuletzt gewinnen Handelsmarken, d.h. dem Handel gehörende Produkte, an Bedeutung. Somit wird der international tätige Handel zunehmend auch zum international tätigen Produktentwickler.3. Führung des WertschöpfungssystemsAufgrund der Dominanz der beschaffungs- und absatzseitigen Internationalisierungsbestrebungen im Handel leitet sich die Gestaltung als Querschnittsfunktionen zu betrachtenden Führungsfunktionen des Wertschöpfungssystems aus den basisstrategischen Entscheidungen ab.Tendenziell sind hierbei zunehmend international orientierte Organisationsstrukturen festzustellen, denn die Führungsetagen der meisten Handelsunternehmen sind noch weitgehend durch Manager aus dem Heimatmarkt besetzt, während die Mitarbeiterführung zunehmend durch die Herausforderung der Einbindung unterschiedlicher Nationalitäten und unterschiedlicher Kulturkreise geprägt ist. Handelsunternehmen, welche sich im kulturellen Selbstverständnis als ein globales oder auch nur europäisches Unternehmen begreifen, sind heute noch eher selten anzutreffen. Entsprechende Visionen der Unternehmensspitze werden zunehmend kommuniziert, aber noch nicht durchgängig gelebt.III. EntwicklungstendenzenAuf einer institutionellen Ebene ist mit einem weiterhin verstärkten Internationalisierungsstreben zu rechnen. Begleitet wird dieses durch eine zunehmende regionale, so europäische Konzentration in manchen Handelsbranchen. Damit wächst die Marktmacht des Handels und es wachsen zugleich die Anforderungen an die Partner des Handels. Bei der Industrie dürften sich Tendenzen der globalen Markierung und/oder der Reorganisation – so der Bildung europäischer Vertriebsorganisationen, Konditionensysteme etc.- verstärken.Obwohl im Wettbewerb zu beachtende Cross-Border-Wertschöpfungsprozesse zunehmend an Bedeutung gewinnen, steht der Einzelhandel – in Relation zu global tätigen Industrieunternehmen – noch relativ am Anfang und entscheidet oftmals noch in Projekten über singuläre Markteintritte oder weist ein weitgehend heimatmarktzentriertes Management auf. Erschwerend wirkt hier die Tatsache, dass der Handel i.d.R. direktinvestiv in Auslandsmärkte einsteigt und daher der Kapitalbedarf und das Risiko höher sind. Zugleich spielen die Kundennähe, der Standort und das Sortiment eine traditionell herausragende Rolle in der Profilierung des Einzelhandels. Diese global oder überregional stärker zu standardisieren ist eine Herausforderung für sich, die gegenwärtig vorwiegend von vertikal integrierten Unternehmen der Textilbranche bewältigt werden.Literatur: Foscht, T./ Jungwirth, G./ Schnedlitz, P. (Hrsg.), Zukunftsperspektiven für das Handelsmanagement, Frankfurt a.M. 2000; Liebmann, H.-P./ Zentes, J., Handelsmanagement, München 2001; Lingenfelder, M., Die Internationalisierung im europäischen Handel, Berlin 1996; Swoboda, B., Internationalisierung als strategische Option des Großhandels, in: Zentes, J./ Swoboda, B./ Morschett, D. (Hrsg.), B2B-Handel, Frankfurt a.M. 2002, S. 147–175; Zentes, J./ Swoboda, B. (Hrsg.), Globales Handelsmanagement, Frankfurt a.M. 1998: Zentes, J./ Swoboda, B./ Morschett, D., Internationales Wertschöpfungsmanagement, München 2004.
Lexikon der Economics. 2013.